Sonntag, 22. April 2007

Sturmreif

Ob man es glauben mag oder nicht, ich bin jetzt fast 21 Jahre alt und jetzt, genau in diesem Moment, zum ersten Mal alleine zu Hause.
Also so richtig alleine, meine ich. Nicht weil mal ein paar Stunden lang außer mir niemand im Haus ist, sondern weil meine gesamte Verwandschaft einige Kilometer von mir entfernt ist. Um genau zu sein in Frankreich, weil meine Eltern da gerade meine Schwester besuchen. Endlich habe ich also mal meine Ruhe. Sturmfrei, quasi.
Sturmfrei, das ist wenn eine Festung (Zitat Wikipedia) "gegen ein gewaltsames Eindringen mittels Leiterangriff gesichert" ist. Nicht zu verwechseln mit Sturmreif, das ist wenn die eigenen Kanonen die Wälle der feindlichen Befestigungsanlage dermaßen zerbröselt haben, dass man das Ding stürmen kann.
Die Euphorie der ersten Stunden hat sich allerdings mittlerweile gelegt. Mit der Erkenntnis nämlich, dass zwar prinzipiell genügend Geschirr im Haus wäre um nicht abspülen zu müssen bevor meine Eltern zurückkommen, dass das Spülen aber letztendlich wohl doch an mir hängen bleiben würde. Also Maß halten, Geschirr und Besteck nach der Verwendung kurz unters Wasser halten, bis zum nächsten Gebrauch ist es dann von alleine trocken.
Es sammelt sich eine Menge Post, in so wenigen Tagen. Außer einem einzelnen Brief war nichts davon an mich adressiert, und landete ungeöffnet auf einem großen Stapel auf der Treppe, wird schon nichts wichtiges gewesen sein.
Das Leben so ganz alleine birgt aber auch unvorhersehbare Gefahren. So habe ich mich in drei verschiedene Finger geschnitten, ohne es zu merken, in den einen sogar zweimal. Es ist nur die oberste Hautschicht, da tut es natürlich nicht weh und blutet auch nicht, aber es würde mich trotzdem interessieren wann und wo das passiert ist, und warum ich davon erst Stunden (Tage? Wochen?) später erfahre. Es sind immerhin meine Finger. Und nein, ich habe mich nicht an der Büchse der Dosenpfirsiche geschnitten die in einem der folgenden Beiträge (hier bitte Link vorstellen) eine recht zentrale Rolle spielen werden.
Trotz meiner Verletzungen habe ich mich dann todesmutig in Richtung Supermarkt bewegt. So sehr ich sie auch rationiert habe (und immerhin hat sie über das Wochenende gereicht), das heutige Frühstück hatte den letzten Tropfen Milch im Haus verbraucht, also musste ich mich wohl oder übel auf mein Fahrrad schwingen und zu Aldi strampeln. Ich versuche zwar möglichst nie selber einkaufen zu müssen, wo die Milch steht weiß ich aber mittlerweile trotz allem. Also rein in den Laden, zielstrebig die Milch aufgesucht, unterwegs halblaut den Vollidioten verfluchend der mich aus großen Augen anstarrt, und dann in genau dem Moment beginnt seinen Einkaufswagen anzuschieben in dem ich dessen voraussichtliche Bahn kreuze, Milch gegriffen, Blick aufs Haltbarkeitsdatum riskiert, meine Armbanduhr konsultiert welches Datum wir überhaupt haben (immerhin wusste ich den Wochentag, und über den Monat war ich mir auch recht sicher), ab zur Kasse, gerade noch einen Seufzer ob der Länge der Schlange vor der einzigen besetzten Bezahlstation unterdrückt, bezahlt, nach Hause geeilt, diverse andere Dinge gemacht, und dann diesen elendig langen, verschachtelten, durch multiple Kommata getrennten aber trotzdem etwas unübersichtlichen Bandwurmsatz verfasst.
Glücklicherweise blieb es nicht bei der einen besetzten Kasse, kaum hatte ich mich angestellt wurde eine zweite geöffnet, und ich habe natürlich alles auf eine Karte gesetzt und mich der dortigen Schlange angeschlossen, in der Hoffnung dass sie mich letztendlich schneller nach draußen befördern würde. Hätte sie sicherlich, immerhin standen nur zwei Leute vor mir, beide mit nur gering beladenen Einkaufswagen - der Mann vor mir wollte jedoch mit Karte bezahlen, und ausgerechnet an dieser Kasse war das Kartenlesegerät defekt. Richtig, defekt. Leider Gottes war es nicht außer Betrieb, so dass ich gefühlte fünfzehn Minuten (so drei bis fünf werden es schon gewesen sein) zusehen durfte, wie der Kassierer die Karte anhauchte, an seinem Ärmel scheuerte, an seinem haarigen Unterarm scheuerte, mit Küchenpapier abwischte, sanft in das Gerät schob, unsanft in das Gerät schob, und schließlich kurz hineinsteckte und wieder rauszog, was dann endlich zum Erfolg führte. Die zwanzig Euro hätte der Kerl aber auch gerade noch in bar zahlen können.
Bei mir lief das Bezahlen natürlich schneller, drei Liter Milch kosten nicht die Welt, die kann man sogar mit einer einzigen Münze bezahlen und noch Rückgeld bekommen.
Aber genug von der abenteuerlichen Einkaufstour, es ging schließlich darum, dass ich sturmfrei habe. Seit dem ersten Teil des Beitrags ist eine Weile vergangen (der war mir nämlich zu kurz, deshalb hab ich ihn gespeichert und bin Einkaufen gefahren, im sicheren Wissen so an mehr Inhalt zu kommen), und es hat immer noch niemand gespült. Ich habe mir allerdings fest vorgenommen, das noch heute zu erledigen. Sonst lichten sich die Wälle des sauberen Geschirrs noch weiter, und dann ist die Bude am Ende doch sturmreif.

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